Im Fokus
User Research Methoden Wann zu welchem UX-Werkzeug greifen?
User Research, manchmal auch als UX Research bezeichnet, hat eine wesentliche Aufgabe: Erkenntnisgewinn. Der Weg zum erfolgreichen Produkt wird dadurch nicht unbedingt kürzer, aber ihr werdet ein besseres Verständnis dafür haben, in welche Richtung ihr laufen solltet.
Systematisch zur richtigen Methode
Es gibt eine Vielzahl von mehr oder weniger verbreiteten Methoden. Die gute Nachricht: Es gibt fast immer ein passendes Tool in dem prall gefüllten Methoden-Werkzeugkoffer.
Vor der Auswahl der Methode stehen folgende zentrale Fragen:
1. Welche belastbaren Informationen fehlen uns?
2. An welchem Punkt der Entwicklung stehen wir gerade?
3. Welche Ressourcen können/möchten wir bereitstellen (Zeit, Zahl und Art der Proband:innen, Geld)?
Habt ihr das Gefühl UX Research kann euch weiterbringen?
Die 4 Dimensionen der User Research Methoden
Wer sich Gedanken zu Informationsbedarf, aktueller Entwicklungsphase und Ressourcen gemacht hat, ist der Auswahl der richtigen Methode schon einen Schritt näher. Was zusätzlich hilft, ist das Verständnis für die unterschiedlichen Typen der User Research Methoden. Sie lassen sich anhand von vier Dimensionen unterscheiden.
Moderierte vs. unmoderierte Methoden
Bei einer unmoderierten Methode wird – grob formuliert – der User sich selbst überlassen. Nach initialem Briefing und Bereitstellung des Testobjekts, wird der User allein auf ein Szenario losgelassen und kann je nach Methode auf unterschiedlichste Weise dabei seine Gedanken und seine Taten dokumentieren, oder diese werden live aufgezeichnet und für das Research-Team bereitgestellt.
Im Gegensatz dazu gibt es bei einer moderierten Befragung oder Untersuchung ein Mindestmaß an Echtzeit-Interaktion zwischen User und Researcher. Das sind in der Regel Fragen, können aber auch kleine Anstupser oder Anweisungen sein.
Qualitative vs. quantitative Methoden
Abhängig von der Zielsetzung ist diese Dimension von elementarer Bedeutung bei der Auswahl der geeigneten Methode.
Möchte ich als UX-Designer:in in Erfahrung bringen, mit welcher Erwartung der User eine Handlung vornimmt, welche Gedanken er bei einer Aktion hat bzw. warum er diese so oder so ausführt, so geht an einer qualitativen Untersuchung kein Weg vorbei. In unserem nachfolgenden Überblick findest du überwiegend qualitative Methoden. Beginnt meine Frage also eher mit was/wie/warum, so dürfte eine qualitative Methode geeignet sein. Je nach Methode reichen hier schon fünf User als Testgruppe aus.
Quantitative Methoden unterfüttern eine Hypothese mit Zahlen. Sie erfordern somit eine wesentlich höhere Zahl an Proband:innen, bevor eine gewisse Aussagekraft der Ergebnisse möglich wird. Die Beobachtung der User erfolgt somit indirekt über die Auswertung von Daten und Kennzahlen. Beginnt meine Frage mit wie viele, so ist eine quantitative Methode erste Wahl.
Verhaltensbasiert vs. einstellungsbasiert
Diese Dimension bei den User Research Methoden unterscheidet zwischen dem, was User tatsächlich tun (Verhalten) und dem, was sie behaupten (Einstellung). In der Natur des Menschen begründet liegen hier immer Abweichungen oder sogar Widersprüche. Nicht alle Methoden lassen sich dabei ganz trennscharf in diesem Kriterium unterscheiden.
Das klassische Interview ist das beste Beispiel für eine Methode, in der User nicht tätig werden müssen und somit ausschließlich im Bereich ihrer Einstellungen untersucht werden. Wohingegen ein A/B-Testing ausschließlich Nutzerverhalten analysiert und nicht dessen Gründe.
Nutzungskontext
Der Nutzungskontext als vierte Dimension der User Research Methoden definiert die äußeren Rahmenbedingungen der Untersuchung. Hier lassen sich drei Formen unterscheiden und noch durch eine Mischform erweitern.
Zunächst gibt es das Szenario einer typischen Feldforschung. Nutzer:innen werden bei der Interaktion mit dem Produkt oder dem Service in einem natürlichen Szenario beobachtet. Die „Test-Spielwiese“ ist somit sehr groß und die Ergebnisse können in viele Richtungen verlaufen. Als Modifikation hiervon kann die geskriptete Produktnutzung betrachtet werden, bei der die User ggf. in einem Usability-Labor befindlich, nur mit gewissen Szenarien oder Teilbereichen eines Produkts oder Services interagieren.
Sowohl bei der natürlichen Nutzung als auch bei der geskripteten Nutzung findet eine tatsächliche Interaktion zwischen User und Produkt statt.
Demgegenüber gibt es einige wenige Methoden, bei der die Untersuchung entkontextualisiert stattfindet – oder in einfacheren Worten – bei der keine direkte Anwendung des Produkts oder des Service erfolgt. Auch hier kann wieder das Interview als Beispiel dienen, das losgelöst vom Produkt Einstellungen der User erforscht.
User Research Methoden im Überblick
Es gibt jede Menge Methoden im Bereich User Experience Design. Nicht alle beziehen zwangsläufig die User unmittelbar mit ein. Die vorgestellten Fragen und Dimensionen helfen dabei aus dieser Vielfalt die passenden Methoden auszuwählen und so das Ziel – ein erfolgreiches Produkt – zu erreichen.
An dieser Stelle wollen wir einen Überblick über ausgewählte Methoden geben, die in sämtlichen Phasen von der Idee bis zum laufenden Betrieb zum Tragen kommen können.
Tiefen-Interview
Das Interview gibt es in unterschiedlichsten Ausprägungen. Gemein haben alle Varianten, dass sie qualitativer Natur sind und ohne direkten Produktkontext erfolgen. Interviews können für recht viele Fragestellungen als passende Methode gewählt werden. Da sie telefonisch oder per Videokonferenz auch sehr gut funktionieren, sind die Kosten hierfür überschaubar.
Interviews eigenen sich vor allem, um den Nutzungskontext und die Nutzerbedürfnisse besser zu verstehen, ihre Probleme und Motive besser zu begreifen. Interviewende sollten eine gewisse Erfahrung und geeignete Fragetechniken mitbringen, um bei Tiefeninterviews weiter in die Gedankenwelt des Users einzutauchen.
Typische Fragestellungen: Welchen Problemen begegnet meine Zielgruppe im Alltag? Wie lösen Sie aktuell Probleme? Welche Anforderungen haben meine User an meinen Service?
Kosten: gering / Aufwand: mittel / Manpower: mittel
Beobachtung bzw. Feldstudien (auch: „Shadowing“)
Feldstudien untersuchen reale User in realen Umgebungen – im Fokus stehen dabei physische Produkte. Das kann der Kauf eines Produkts, die Einrichtung bzw. Installation eines Produkts oder jede andere Form der Interaktion sein. Beim Shadowing folgt der Beobachter einem User ggf. sogar über längere Zeiträume, um zu beobachten, wie sich der User möglichst natürlich ohne äußere Einflussnahme verhält.
Typische Fragestellungen: Wie erleben unsere User unser Produkt? In welchen Situationen nutzen sie mein Produkt? Welche Probleme treten dabei auf?
Kosten: mittel / Aufwand: mittel bis hoch / Manpower: hoch
(Online-)Umfrage bzw. (Online-)Fragebogen
Mit einer schriftlichen Befragung kann sehr systematisch und häufig auch durch metrische Antwort-Möglichkeiten eine quantitative Befragung einer großen Benutzergruppe durchgeführt werden. Ebenso eignen sich Umfragen auch für qualitative Erhebungen, wobei hier berücksichtigt werden muss, dass diese Methode unmoderiert erfolgt und so oftmals das Feedback nicht eindeutig ausgewertet werden kann oder eine fehlende Motivation der ausführlichen Schilderung im Wege steht. Einer Variante hiervon, sogenannte Intercept Surveys / auch Onsite Umfragen, begegnet man immer wieder in Form von Pop-Ups auf Websites, in denen man kurz nach seiner Meinung gefragt wird. Sie eignen sich also für den laufenden Betrieb eines Produkts.
Typische Fragestellungen: Wie bewerten die User einen bestimmten Teilbereich meines Produkts? Wie viele User sind sehr zufrieden / sehr unzufrieden mit dem aktuellen Design? Welche Verbesserungsvorschläge oder Feature-Wünsche haben einzelne User?
Kosten: gering / Aufwand: gering / Manpower: gering
Tagebuchstudie
Über einen zumeist etwas längeren Zeitraum (Achtung Zeitbudget!) dokumentiert ein User seine Erfahrungen oder Tätigkeiten entweder klassisch schriftlich oder in Form eines Video- oder Memo-Tagebuchs. Auch die Dokumentation über spezielle Apps ist möglich. Lernprozesse und Anpassungen des Nutzerverhältnisses zum Produkt oder zum Service können somit erfasst werden.
Typische Fragestellungen: In welchen Situationen nutzen unsere User unser Produkt? Welche Funktionen unseres Produkts nutzen sie dabei in erster Linie/ welche vernachlässigen sie? Wie fühlen sich unsere User bei der Nutzung unseres Produkts?
Kosten: mittel bis hoch / Aufwand: hoch / Manpower: mittel bis hoch
A/B Test bzw. Split-Test
Ein A/B Test ist eine User Research Methode, die ähnlich wie das Web-Tracking (s.o.) im direkten Produktkontext echtes Nutzerverhalten quantitativ erfasst. Typischer Use-Case ist die Hypothese für eine Conversion-Rate-Verbesserung, die bspw. durch die Umgestaltung eines Call-to-Action Elements erzielt werden soll. Diese Methode verlangt somit eine große Anzahl von Usern, um entsprechende Signifikanz zu erreichen. Zudem wird sie niemals das Warum für eine Veränderung der Kennzahl liefern.
Typische Fragestellungen: Wie viel besser / schlechter schneidet Design A gegenüber Design B ab? Wird unsere Conversion-Rate steigen, wenn wir unser Formular an dieser Stelle ändern?
Kosten: mittel / Aufwand: mittel / Manpower: gering
Usability-Test
Bei Usability-Tests wird ein User bei der Interaktion mit einem Produkt beobachtet. Das kann auch ein noch unfertiges Produkt, also ein Prototyp oder Entwurf sein. Diese Methode dient in der Regel dazu, kritische Verständnisprobleme oder Hürden in der Bedienung zu ermitteln. Usability-Tests gibt es wie Interviews in vielen Formaten. Sie können sowohl im Feld, remote oder auch im Labor erfolgen, sowohl qualitative als auch quantitative Fragestellungen beantworten und sowohl moderiert als auch unmoderiert ablaufen. Häufig werden sie mit weiteren Methoden gekoppelt, so z.B. mit dem Eye-Tracking im Labor-Umfeld oder mit einem Interview im Anschluss. In jedem Fall sind die Aufwände für diese Methoden eher hoch im Vergleich zu anderen Methoden, wobei die Remote-Variante via Screensharing und Aufzeichnung eine sehr etablierte und leichter durchzuführende Variante darstellt.
Typische Fragestellungen: Wie gut kommen User mit dem von uns konzipierten Design klar? Welche Erwartungen hat ein User vor der unmittelbaren Interaktion mit einem Button oder wenn er ein Szenario durchläuft?
Kosten: mittel bis hoch / Aufwand: hoch / Manpower: hoch
Card Sorting
Card Sorting findet entkontextualisiert statt (siehe Dimensionen). User sollen hierbei aktiv an einem Szenario mitarbeiten und beispielsweise eine Navigationsstruktur für eine Website entwickeln. Die Ergebnisse hiervon können sowohl quantitativer als auch qualitativer Ausprägung sein.
Typische Fragestellungen: Wie können wir die Navigation für unsere Website optimieren? Wie stellen wir sicher, dass unsere User innerhalb von zwei Klicks zu jeder Lösung finden?
Kosten: gering / Aufwand: gering / Manpower: gering
Co-Creation / auch: Partizipatives Design
Gemeinsam mit verschiedenen Projektbeteiligten (Auftraggeber:in bzw. Projektteam, Endkund:innen) werden Teilbereiche oder neue Ideen eines Produkts diskutiert, optimiert, verfeinert. Hierbei können verschiedene Techniken zur kreativen Gestaltung zum Einsatz kommen. Die Moderation obliegt dem Research-Team.
Typische Fragestellungen: Wie finden wir ein für unsere User möglichst klares und verständliches Design? Welche Ausprägung des User Interfaces ist für unsere Zielgruppe am besten geeignet?
Kosten: mittel / Aufwand: mittel / Manpower: mittel
Fokusgruppe
In einer Gruppe von mehreren Usern wird eine gezielte Diskussion moderiert, um Erwartungen, Meinungen und Bedürfnisse der Nutzer:innen zu spezifizieren. In ihrer grundsätzlichen Ausprägung ist diese Methode dem Interview verwandt, allerdings mit dem zusätzlichen Aspekt einer Gruppendynamik, die mitunter zu kreativeren Ideen führt als beim 1:1 Interview. Damit ist die Fokusgruppe auch vor allem ein Format für die Ideenphase und verspricht neue Betrachtungswinkel für das zu konzipierende Produkt.
Typische Fragestellungen: Welche Wünsche könnten meine User noch rund um meine Produktidee haben? Was gefällt ihnen besonders gut und was weniger an meinem Konzept?
Kosten: gering / Aufwand: mittel / Manpower: mittel